(…) der Gedanke lief federleicht über den Schreck hin, erst als ich das nasse Haar aus dem Stirn wischen wollte, ließen mich die Hände im Stich, dann knickten die Knie weg, schien mir: der Augenblick für dich, drei Monate in einer Minute zusammenzuraffen und, zum erstenmal, wie zur Probe, den Finger an meinem Lidwinkel zu legen, eine gedachte Träne wegzustreichen, Guten Tag zu sagen, einen schönen guten Tag, mein Herz, wir haben Glück heute… der belletristische Augenblick, den wir nicht erleben, auch nicht erleben möchten, ich nicht, Ben; ich kann ihn mir vorstellen, seine Möglichkeiten durchspielen, die gesprochenen Worte umtauschen, Liebste statt Herz, oder dich zurechtrücken, so zum Beispiel, das Rad, das sich schief in den Schlamm gegraben hat… ich bin froh, daß nicht geschehen ist, was ich mir vorspielen kann: die Liebe auf den ersten Blick, die Gewißheit ohne Entdeckungen, eine Romanszene, in der ich sage, was ich damals nicht gesagt habe, etwa: Ich habe dich überall gesucht… Dabei hatte ich wirklich gesucht, das erstaunte mich mehr als der Zufall, durch den ich dich jetzt fand, Irgendwen, einen Fremden, dessen Existenz nichts für mich veränderte, und den nichts auszeichnete als eine flüchtige Ähnlichkeit mit Wilhelm, die gleiche Stirn, das schon, die gebrochene Nase, Backenknochen, die die Augen bedrängen; übrigens fehlte heute die Brille, das lächerliche Drahtgestell.
Franziska Linkerhand, Brigitte Reimann, 1974
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